¨Die Neuroästhetik fragt, was Menschen als schön empfinden¨ 

Warum wird wohl das berühmte Lächeln der Mona Lisa vornehmlich am linken Mundwinkel sichtbar? Wieso gibt es viele berühmte Gemälde, bei denen das Bildzentrum eher links vom Mittelpunkt liegt? Der Münchner Hirnforscher Ernst Pöppel glaubt, die Antwort zu wissen. Physiologisch würde unser Hirn die Wahrnehmung gerne links von der Mitte konzentrieren, eröffnete der Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie der Münchner Uni kürzlich seinen Zuhörern bei einem Vortrag am zur Berliner Charité gehörenden Virchow-Klinikum in der Bundeshauptstadt.

Der Hirnforscher war Gastredner und ein Gründungsmitglied der in der ersten Mai-Hälfte in der Bundeshauptstadt aus der Taufe gehobenen neuen europäischen “Assoziation für Neuro-Ästhetik”. Künstler und Neurowissenschaftler haben sich darin organisiert, um ihr Wissen und ihre Methoden zusammen zu führen. “Es geht darum, dass wir davon ausgehen, dass Künstler mit anderen Methoden interessante Erkenntnisse über die Funktionsweise des Gehirns beitragen können”, sagte Pöppel der MAZ.

Weltweit wird an einigen Forschungszentren schon seit längerem versucht, durch die Analyse von Kunstobjekten mehr über menschliche Eigenschaften und die zugrundeliegenden neurobiologischen Prozesse ästhetischer Erfahrung herauszufinden. “Ziel ist es die neurobiologischen Grundlagen unseres ästhetischen Verhältnisses zur Welt aufzuklären”, sagt Manfred Spitzer, Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm, zu dessen Forschungsgebieten die Neuroästhetik zählt. Der Zweig wolle mit zur Klärung der Frage beitragen: Gibt es allgemeine Kriterien für ästhetische Urteile oder bleibt dies allein der Subjektivität des Betrachters überlassen?

Pöppel hatte in Berlin noch mehr Beispiele parat, die Kunsterfahrung zu einer beobachtbaren Angelegenheit verschiedener Neuronenströme im Gehirn (s. Kasten) machen. Wird etwa eine Stelle aus Wagners “Fliegendem Holländer” auch nur ein wenig schneller oder langsamer gespielt als vorgesehen, zeigt sich das an den Neuronen. Messungen mit Versuchspersonen haben ergeben, dass die in diesen Fällen nur wenig aktiv werden. Ist das Tempo korrekt, lässt sich bei den Hirnströmen ein wahres Feuerwerk messen.

“Für ästhetische Empfindungen gibt es optimale Zeitfenster”, sagt Pöppel. So betrage die optimale Aufmerksamkeitsspanne im Hirn nach Erkenntnissen der Forscher nur drei Sekunden. Entsprechende Intervalle würden sich auch in zahlreichen Musikkompositionen wiederfinden.

Ganz ähnlich argumentieren auch andere Wissenschaftler, die mit dem neuen Forschungszweig sympathisieren. “Es gibt auch im Visuellen entsprechende Strukturen”, sagt Wolfgang Klein, Direktor am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik im niederländischen Nijmegen. So würde etwa der sogenannte Goldene Schnitt, ein bestimmtes proportionales Verhältnis von Größen, eher harmonische Gefühle in Gehirn auslösen. Parallelen sieht er auch im Versmaß von Gedichten.

Den meisten Anhängern der Neuroästhetik liegt es aber fern, Kunsterlebnisse auf Formeln von Hirnfunktionen zu reduzieren. “Alle Versuche dahin sind schon in der Vergangenheit grandios gescheitert”, sagt Klein. Es gehe einzig und allein darum zu versuchen, ästhetisches Empfinden empirisch zu messen. Auch dabei sei man bislang aber noch nicht besonders weit gekommen.

Als Neuronen werden die Nervenzellen des Gehirns bezeichnet. Das Messen von Hirnströmen lässt Rückschlüsse auf ihre Aktivität zu. Auch durch Untersuchungen mit Kernspintomografen lassen sich entsprechende Erkenntnisse erzielen.

Das Empfinden des Schönen ist nach Meinung von Forschern in evolutionärer Hinsicht sehr jung und taucht nach heutigem Wissen etwa vor 40 000 Jahren mit den ersten von Menschen geschaffenen Kunstwerken, etwa in Form von Wandmalereien, auf. Neurologen bringen das mit der Entwicklung des Frontalhirns in Verbindung.

Das Empfinden von Werten wird von Forschern im Bereich der Hirnrinde direkt über den Augen festgemacht. Die Unterscheidung zwischen wahr und falsch wird bislang an der Stirnseite des Gehirns verortet.

Untern Hirnforschern hat sich weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Wahre, das Schöne und das Gute (also die Werte) im Gehirn recht nah beieinander liegen. Eine ähnliche These über deren räumliche Nähe hatte bereits Platon beim Nachdenken über sich selbst aufgestellt.

(Gerald Dietz)