¨Was Neurobiologen sehen, wenn sie Kunst sehen¨ (Read article as PDF)

In Berlin wurde die “Association of Neuroesthetics”gegründet. Sie will Biologie und Kunst zusammenbringen. Doch was hat die Neurowissenschaft der Ästhetik zu sagen? Kann sie Schönheit messbar machen? Ein Gespräch mit dem Neuroästhetiker Alexander Abbushi.

Herr Abbushi, Sie haben vor kurzem die “Association of Neuroesthetics” in Berlin gegründet. Worum geht es dabei?

Die strenge Trennung zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften wird immer mehr als Nachteil für die wissenschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung gesehen. Wissenschaftler wie Ernst Pöppel, Semir Zeki oder der Nobelpreisträger Eric Kandel arbeiten schon seit längerem daran, beide Sphären zusammenzubringen.

Diesen Begriff “Neuroästhetik” – haben Sie den erfunden?

Nein, es gibt sogar einen Streit darüber, wer ihn erfunden hat.

Und wer hat ihn erfunden?

Meiner Ansicht nach war es einer unserer Gründungsmitglieder, der Neurobiologe Semir Zeki, der auch das Institut für New Aesthetics am University College in London leitet und dort seit März dieses Jahres den ersten Lehrstuhl für Neuroästhetik innehat. Ein Meilenstein war aber sicher auch die Gründung der Studiengruppe “Biological Aspects of Beauty” im Jahr 1979 von Ernst Pöppel.

Und was bedeutet Neuroästhetik?

Neuroästhetik ist ein Wissenschaftsfeld, das sich mit den neurologischen Grundlagen von Kreativität, Ästhetik, Kunstwahrnehmung ebenso wie mit subjektiven Bewusstseinszuständen wie Liebe, Hass, Schönheit beschäftigt. Diese Zustände haben auch die Künstler immer wieder beschäftigt. Kunst und Wissenschaft interessieren sich hier für die gleichen Phänomene – und die Neurowissenschaft kann durch neuere Untersuchungsmethoden höhere Hirnfunktionen, zum Beispiel durch Kernspintomographen, darstellen.

Könnten Sie an einem konkreten Beispiel aus der Kunst erklären, wie das, was Sie den “Bewusstseinszustand Schönheit” nennen, in einem Werk sichtbar wird?

So direkt ist das nicht machbar. Es gibt Untersuchungen, in denen Probanden verschiedene Bilder im MRI-Scanner gezeigt wurden, mit der Bitte, diese Bilder einzuteilen nach den Kategorien “schön” oder “nicht schön”, um dabei die Hirnfunktion zu messen.

Was für Bilder waren das?

Es waren sowohl abstrakte Bilder als auch Porträts, Landschaften und Stillleben.

Und was hat man da festgestellt?

Wenn der eine sagt: Ich gebe diesem Bild auf der Schönheitsskala eine Zehn, also die höchste Note, dann war bei ihm eine höhere Erregung feststellbar, als bei einem, der gesagt hat, ich gebe eine Zwei.

Aber was lässt sich davon für die Klärung der Frage ableiten, was schön ist? Im Moment haben Sie ja nur festgestellt, dass die Hirnaktivität bei jemanden, der etwas nach seinen Kategorien als schön benennt, gesteigert ist. Glauben Sie, dass es einen neurowissenschaftlich ermittelbaren Schönheitscode gibt, den alle Menschen teilen?

Das würde ich nicht so sehen.

Wir auch nicht – aber unter Ihren Kollegen, Zeki inklusive, stehen Sie mit ihrer Skepsis ziemlich allein da.

Es geht Zeki darum, neurobiologisch zu untersuchen, wie und warum ein Kunstwerk so viele Menschen erreicht. Offensichtlich gelang es zum Beispiel Michelangelo, eine Form zu finden, um seinen Inhalt darzustellen, die vielen Betrachtern zugänglich ist.

Und wie macht er das?

Mit einer offenen, für viele Deutungen zugänglichen Form.

Um festzustellen, dass eine “offene” künstlerische Form vielerlei Deutungen erlaubt, braucht man ja noch nicht die Neurowissenschaften zu bemühen, oder?

Die Kunst, ihre Rezeption, ihre Zugänglichkeit hängt natürlich vom politischen, sozialen Kontext und der persönlichen Geschichte der Betrachter ab. Aber wenn man von der Wirkung eines Werkes spricht, dann spielt auch die Frage eine Rolle, wie es über die Zeiten hinweg zugänglich ist für seinen Betrachter und wie dieser Zugang funktioniert. Vielleicht behandelt Michelangelo Themen, die über längere Zeiträume Gültigkeit haben und nicht so sehr abhängig von äußeren Umständen sind.

Könnte es aber nicht auch einfach einen rezeptionsgeschichtlichen Grund haben, dass etwa die Sixtinische Kapelle immer noch als unerreichtes Meisterwerk gilt? Es ist doch klar, dass das größte Deckengemälde, zumal an einem zentralen Ort der damaligen Welt, für Aufsehen sorgt. Was aber noch nicht heißt, dass hier jeder Mensch erschüttert wieder rausgeht.

Das heißt es noch nicht, nein.

Oder nehmen Sie die Mona Lisa. Die Besuchermassen schauen fast gar nicht mehr hin und haben trotzdem das Gefühl, Bedeutendes erlebt zu haben. Hier wird doch vielleicht nur ein kultureller Topos zur individuellen Erfahrung umdeklariert?

Das mag sein. Dennoch: Was jemanden wie Professor Zeki an Kunstwerken interessiert, ist zum Beispiel ihre Doppeldeutigkeit, eine Unbestimmtheit, die ja auch viele interessante Werke der Gegenwartskunst auszeichnet, etwa die von Olafur Eliasson, der sich ja für die Effekte seiner Kunst durchaus bei den Erkenntnissen der Neurowissenschaften bedient.

Obwohl die Wirkung von Eliassons Arbeiten schon mit Goethes Farbstudien oder mit Hermann von Helmholtz optischer Forschung aus dem neunzehnten Jahrhundert erklärbar ist. Das sind im Kern relativ alte optische Tricks, ein Spiel mit Nachbildern. Was trägt hier die Neurowisssenschaft bei?

Wir wollen hier ja nicht als Richter oder Großerklärer für Kunst auftreten. Uns geht es darum, gemeinsam neue Perspektiven für Kunst und Wissenschaft zu eröffnen. Es gibt Rahmenbedingungen des Lebens und Fühlens, die wir versuchen zu verstehen.

Die für alle Menschen gelten?

Ja. Wir wollen ja etwas über die Funktionsweise unseres Gehirns lernen. Und Kunst ermöglicht es, diese Rahmenbedingungen anders zu verstehen.

Wie geht man da vor?

Man kann natürlich Probanden vor ein Bild setzen und die Hirnaktivitäten abbilden. Man kann die emotionalen Reaktionen genauso wie die kortikale Erregung der Betrachter aus unterschiedlichen Kulturen untersuchen.

Wären Sie enttäuscht, wenn Sie dabei nur Unterschiede feststellten?

Negative Ergebnisse sind Teil der wissenschaftlichen Arbeit.

Offensichtlich findet die Neurowissenschaft viel Material in der Kunst. Was hat die Kunst von der Neurowissenschaft?

Nehmen Sie einen Künstler und Architekten wie Philippe Rahm. Er hat mit gelb-orangenem Licht einen Raum geschaffen. Man denkt, hier ist es schön sonnig, das muntert mich auf. Aber das Licht macht müde, da das blau-grüne Spektrum ausgefiltert wurde. Die Ausschüttung von Melatonin wird angeregt, ein Hormon, das unseren Schlaf-Wach-Rhythmus steuert. Der Künstler bedient sich hier wissenschaftlicher Erkenntnisse und Hilfsmittel aus der Chronobiologie, um eine paradoxe ästhetische Erfahrung zu ermöglichen.

Die Kunst, die hier entsteht, funktioniert über die Manipulation des Betrachters. Widerspricht das nicht dem Freiheitsgedanken, den ein emphatischer Kunstbegriff immer hat?

Mein persönlicher Freiheitsgedanke ist, dass auch die Kunst vielfältig sein darf. Natürlich treibt diese Kunst mit dem Betrachter ihre Spielchen, aber man könnte auch sagen, dem Betrachter wird ein ästhetisch-körperliches Erlebnis ermöglicht, mit dem er sich danach auseinandersetzt. Oder nehmen wir mal ein Bild von James Turrell. Wir haben da diese doch irgendwie erstaunlich losgelöste Farbe, diese reine Farbe, diese physikalische Wahrnehmung. Und wir wissen dazu, dass Farbe etwas ist, was im Gehirn kreiert wird und was nicht außerhalb existiert. Ist das enttäuschend?

Nein. Aber was sagt es über unsere Wahrnehmung, unsere Gefühle im Angesicht von Kunst aus?

Ach, wissen Sie, es klingt ja immer der Verdacht durch, als wollten die Neurowissenschaften die Kunst ihrer Freiheit berauben und sie entzaubern. Das ist ein schreckliches Missverständnis.

Es gibt Vertreter Ihres Faches, die Furore mit der Behauptung gemacht haben, sie hätten herausgefunden, es gebe keine Willensfreiheit.

Ja, das ist ein Problem. Der freie Wille ist kein Thema bei uns. Und diese Diskussion über den freien Willen ist, glaube ich, auch ein sehr deutsches Phänomen, das einfach in einen Topf geschmissen wird mit den Anliegen der Neurowissenschaft. Uns geht es nicht um Entzauberung, sondern um gegenseitige Bereicherung.

(Die Fragen stellten Niklas Maak und Julia Voss)